Biografie Aida Stucki
Biografie als PDF Datei öffnen
Eigenhändige Dankesbezeugung von O. Schoeck an die Solistin Aida Stucki nach der Aufführung seines Violinkonzerts |
|||||||||
„Und nun spielt eine große Geigerin, nämlich Aida Stucki“ -
Ein so berühmter Dirigent wie Hermann Scherchen, der damals das Radioorchester Zürich leitete, bestand auf dieser Ansage der Rundunkfübertragung des Beethovenschen Violinkonzertes 1949. „Man wird noch von der jungen Violinistin Aida Stucki sprechen, die mir gestern im Radio aufgefallen ist und bei deren Spiel ich heiße Tränen vergossen habe“, schrieb die außergewöhnliche Pianistin Clara Haskil Anfang der 40-er Jahre. |
|||||||||
|
|||||||||
Anschließend studierte Aida Stucki in Zürich bei der berühmten feurigen ungarischen Geigerin Stefi Geyer, die oft mit ihr zusammen im Doppelkonzert von J.S. Bach auftrat. Im Studium mit Prof.Carl Flesch in Luzern entwickelte Aida Stucki ihre künstlerische Persönlichkeit weiter und erwarb ihr Rüstzeug und geigerisches Wissen für die eigene, erfolgreiche solistische und |
|||||||||
Aida Stucki: Int. Wettbewerb in Genf, 1940 |
Als Preisträgerin im Genfer Wettbewerb 1940 öffneten sich ihr die Türen zu einer vielseitigen Konzerttätigkeit unter den damals namhaftesten Dirigenten in ganz Europa (V.Andreae, P.Colombo, R. Denzler, V.Desarzens, W.Fortner, E.Inbal, A.Jordan, H.Scherchen, J.Keilberth, P.v.Kempen, H.Münch, O.Nussio, G.Petrassi, H.Rosbaud, M.Rossi, H.Scherchen, E.Schmid, C.Zecchi) - um nur einige Namen zu nennen. Aida Stuckis Repertoire umfasste alle großen Konzerte vom Barock bis zur Moderne, die gesamte Literatur für Violine und Klavier und einen Großteil der Kammermusik in allen nur denkbaren Formationen. |
||||||||
Aida Stucki zusammen mit Ehemann Giuseppe Piraccini |
Mit der Pianistin Clara Haskil arbeitete Aida Stucki in der Zeit von 1945 bis 1950 besonders gerne zusammen. Beide erarbeiteten Werke, die Clara Haskil sonst nie spielte: Triosonaten von Händel (zusammen mit Ehemann Giuseppe Piraccini, s. Foto links), Werke von Franz Schubert, Sonaten von Brahms und Schumann und eine nicht veröffentlichte Sonatine des früh verstorbenen begnadeten rumänischen Pianisten Dinu Lipatti, den Clara Haskil sehr verehrte. | ||||||||
Weitere Klavierpartner waren Adrian Aeschbacher, Elly Ney (Schumannzyklus in Zürich und Tutzing), Walter Frey, der Pianist von Prof. Carl Flesch, mit dem sie oft die Zyklen der Bach- und Brahmssonaten wiedergab, Christoph Lieske, Professor am Mozarteum Universität Salzburg, mit dem sie integral Mozart- und Beethovensonaten aufführte und insbesondere die temperamentvolle aus Italien stammende, leider früh verstorbene Winterthurer Kollegin Pina Pozzi. Das Duo Aida Stucki-Pina Pozzi beherrschte ein riesiges Repertoire. | |||||||||
links: A. Stucki zusammen mit P. Pozzi, Mitte:A. Stucki mit W. Frey, rechts:C. Lieske |
|||||||||
1959 gründete Aida Stucki zusammen mit ihrem Ehemann, dem Zürcher ersten Konzertmeister Giuseppe Piraccini, den Solobratschern Hermann Friedrich und später Gerhard Wieser und dem Solocellisten Walter Haefeli das Piraccini-Stucki-Streichquartett, das sich bald internationalen Ruf erwarb. Die beiden Geiger lösten sich oft - damals ungewohnt, heute üblich - im selben Konzert als Primgeiger ab, was dem Quartettklang eine unterschiedliche Tonfärbung verlieh. Das Piraccini-Stucki - Quartett setzte sich für zeitgenössische Werke ein und verhalf manchem Schweizer Komponisten zum Durchbruch. |
|||||||||
links und rechts: Piraccini-Stucki-Quartett;das Piraccini-Stucki-Quartett spielt auf Instrumenten von A.Stradivarius; Mitte: Programm zum Quarettabend auf Instrumenten von A.Straidivarus |
|||||||||
Für ihre Verdienste wurde Aida Stucki mehrfach ausgezeichnet:
Ein schwerer Sturz im neu bezogenen Winterthurer Haus hatte 1983 den Bruch beider Handgelenke zur Folge und beendete Aida Stuckis Geigenspiel abrupt. Doch ihre Kunst lebt weiter, zum einen in ihren ehemaligen Schülern, zum anderen in zahlreichen nun auf CD überspielten Aufnahmen. |
|||||||||
Aida Stucki mit Anne-Sophie Mutter 1979 Salzburg (Foto: Privat) |
Ihre bekannteste Schülerin ist die weltberühmte Geigerin Anne-Sophie Mutter, die als Neunjährige ihr Studium bei Aida Piraccini-Stucki in Winterthur begann und mit ihr bis heute musikalisch und freundschaftlich eng verbunden ist. Besonders genannt sei Rainer Wolters, der Enkel von Ernst Wolters (erster Lehrer Aida Stuckis). Sie betreute ihn als musikalische Frühbegabung gleichzeitig mit Anne Sophie Mutter. Er ist heute erster Konzertmeister des Radiosinfonieorchesters Berlin. Anlässlich des 70. Geburtstages seiner Lehrerin spielte er zusammen mit Anne Sophie Mutter mit dem Württemberischen Kammerorchester unter Jörg Färber das Doppelkonzert von Bach. Als Violinpädagogin begleitete Aida Stucki mehr als hundert Schülerinnen und Schüler in ihrer Ausbildungsklasse, die später den Status einer Meisterklasse erhielt, bis zum Lehr-Reife-oder Solistendiplom. Roberto Baraldi
Immer wieder wird die Frage nach dem Geheimnis der Stucki-Schule gestellt. |
||||||||
|
Für Anne-Sophie Mutter ist ihre langjährige Lehrerin Aida Stucki ist entscheidendes Mitglied des künstlerischen Beirats des „Freundeskreises der Anne-Sophie Mutter Stiftung eV“ München. Aida Stucki wirkte aus familiärer und pädagogischer Verpflichtung im Wesentlichen in der Schweiz und konnte so verlockende internationale Angebote wie Duokonzerte mit Sir Georg Solti, Tourneen mit Hermann Scherchen oder 1975 eine Einladung nach Israel nicht verwirklichen. |
||||||||
|
|||||||||
Dr. Christof Honecker | |||||||||
|
|||||||||
Im August 2009 erschien in der Winterthurer Tageszeitung "Der Landbote" anläßlich der Wiederveröffentlichung des Beethovenschen Violinkonzertes bei TAHRA (Bezug/Download möglich über Amazon oder iTunes) und Mozarts Gesamtwerk für Solovioline in einem 6 CD-Set bei DOREMI folgende Würdigung der Geigerin und Pädagogin Aida Stucki durch die Musikschriftstellerin Rita Wolfensberger: Dem Mimen (im Bereich der Musik: dem Interpreten) wird zwar laut Schiller nachgesagt. dass ihm die Nachwelt keine Kränze widme. Das mag, verglichen mit dem Nachruhm grosser Komponisten und deren anscheinend unsterblicher Meisterwerke seine Richtigkeit haben. dafür aber kommt ihm die kostbare Aufgabe zu, diese und immer neue Werke dem jeweils gegenwärtigen Publikum und dem musizierendcn Nachwuchs - gleichsam als Fackelträger - weiterzureichen und damit lebendig zu erhalten. Aida Stucki hat beides auf eine einzigartig fruchtbare Weise vermocht. Zunächst trat sie als Solistin in beeindruckender Weise in Erscheinung: In Kairo als Kind eines Winterthurer Unternehmers und einer italienischen Sängerin geboren. kam sie als Siebenjährige nach Winterthur und gelangte hier in die berufenen Hände ihres Lehrers und Dirigenten Ernst Wolters. der das verlässliche Fundament zu ihrer späteren geigerischen Meisterschaft legte. Dann wurde Stefi Geyer ihre auf neue Art prägende Lehrerin, mit der zusammen sie schon als Teenager Bachs Doppelkonzert mehrfach aufführen konnte. Den letzten künstlerischen Schliff holte sich Aida Stucki beim hochverehrten Meister Carl Flesch in Luzern. Und mit neunzehn Jahren gewann sie den Preis am Internationalen Musikwettbewerb in Genf, wonach ihre Karriere raketenhaft aufstieg. Kein Geringerer als Hermann Scherchen, der damalige Dirigent des Winterthurer Stadtorchesters, kündigte schon die Zwanzigjährige als "grosse Schweizer Geigerin" an. Aus dieser ersten Erfolgsphase sind nun sämtliche Violinkonzerte von Mozart sowie das Violinkonzert von Beethoven auf sehr guten CD-Reproduktionen wieder greifbar. Von Aida Stuckis eminenter Interpretationskunst - sie spielte eine herrliche Guadagnini und sogar eine Stradivari, vom St. Gallener Mäzen Rolf Habisreutinger ausgeliehen - künden nun blühende Musikalität, perfekte Präzision, mitunter die mitreissende Jugendlichkeit, auch die einzigartige Beherrschung des Détaché (schnelle, ungemein prägnant geführte Bogenwechsel bei schnellen Passagen) und eine Ausdruckswärme von spontaner Natürlichkeit. An Solokadenzen benützte Aida Stucki damals mit Vorliebe jene von Joseph Joachim, die bis heute gelegentlich gespielt werden, sowie von Stefi Geyer, Sitt, Auer und vor allem Enesco, der geschickte Zweistimmigkeiten mit guter Motivverarbeitung in eine kluge knappe Form zu fassen verstand. Zur Solokadenz im Allgemeinen sagt Aida Stucki, sie bevorzuge nicht allzu weitschweifige, die sich vom eigentlichen Konzertstil nicht zu weit fortbewegen und auch nicht einer übertriebenen Selbstdarstellung des Spielers dienen sollten. Rasch baute die erfolgreiche Solistin auch ihre vielfältigen kammermusikalischen Aktivitäten aus, für die ihr ein nicht weniger grosses Talent geschenkt war. Nebst Klavierpartnern von ebenbürtigem Niveau wie Clara Haskil, Walter Frey und Pina Pozzi war es dann vor allem Christoph Lieske, mit dem sie etliche Integrale aufführte, von denen jetzt die Klavier/Violin-Sonaten von Mozart beglückendes Zeugnis ablegen. Mit Pina Pozzi und Esther Nyffenegger unterhielt sie auch einige Zeit ein erfolgreiches Damen-Klaviertrio, und mit ihrem Gatten Giuseppe Piraccini, dem Bratschisten Hermann Friedrich und Walter Haefeli am Cello gewann das Piraccini-Stucki-Quartett höchstes internationales Ansehen. Dann aber entfaltete Aida Piraccini - Stucki ihre dritte, ihre wohl nachhaltigste musikalische Berufung als Fackelträgerin. So wie sie von ihren Lehrmeistern künstlerische Erkenntnis und spieltechnisches Können empfangen hatte, so begann sie, ans Winterthurer Konservatorium als Lehrkraft berufen, ihrerseits die gewonnenen Erfahrungen - auch diejenigen auf dem internationalen Konzertpodium - weiterzugeben. Bereits 1948 nahm sie ihre Lehrtätigkeit in Winterthur auf, 1992 wurde für die bereits 71-jährige Geigerin am Konservatorium erstmals überhaupt eine Meisterklasse geschaffen. Ihr offenes, spontanes, menschenfreundliches Wesen wirkte mit der instrumentalspezifischen Kompetenz auf überaus glückliche Weise zusammen, sodass es ihr gelang, allerhöchste Qualität zu fordern (und vielfach zu erzielen), aber auch ihre Studenten gleichzeitig auf den Weg zum eigenen Stil und zu voller Selbstsicherheit zu weisen. Die Liste hervorragender Violinisten der Stucki-Schule ist imponierend lang. Unter ihnen seien vor allem diejenigen, die mit Winterthur speziell verbunden sind, erwähnt: Rainer Wolters etwa, der Enkel von Aida Stuckis erstem Lehrer Ernst Wolters, Rahel Cunz, Konzertmeisterin beim Musikkollegium, Roman Conrad (mit eigenem Quartett), Matthias Enderle und Susanne Frank, die beiden Geiger des Carmina-Quartettes, Noëmie Schindler, die Schwestern Mirjam und Sibylle Tschopp. Zu nennen ist aber natürlich vor allem auch Anne-Sophie Mutter, die den eigenen und den Namen der genialen Lehrerin, die in Winterthur wirkte und hier auch heute noch wohnt, in alle Welt getragen hat. Und auch sie tragen jetzt als Interpreten und als Lehrer die Fackel der Musik unermüdlich weiter im Wissen. dass die Tonkunst nicht wie die Bildende Kunst sicht- und greifbar erhalten bleibt, sondern nur dann zum erlebten Ereignis wird, wenn sie gespielt und gehört wird. Aida Stucki hat zu solcher Verwirklichung aufs Generöseste beigetragen. |
|||||||||
"Die englische Musikzeitschrift "The Strad" veröffentlichte im Septem ber 2009 ein Spezialheft mit dem Titel: VIOLIN HEROES Top violinists of today look back on the players who have influenced them". Anne-Sophie Mutter schreibt darin über den prägenden Einfluß ihrer Lehrerin Aida Stucki:" |
|||||||||
|
THE FIRST MEMORY I HAVE of a string player was of Yehudi Menuhin, from his recording of Mendelssohn and Beethoven concertos, which was my parents wedding gift to each other, so we must have heard it a million times as children. His early recordings are the most fascinating ones: I'm not sure if I could hear that wonderful tonal beauty and intensity of sound later on. I wanted to have violin lessons for my fifth birthday and the first concert I heard, a year later, was with David Olstrakh. I remember it as if it was yesterday - he played the three Brahms sonatas with Frida Bauer and his stage presence and sound were unforgettable. I suddenly understood that music is more than playing the notes, that it can transform and transpose the people who are listening to it. That was a magical moment in my life and from then on I realised I wanted to become some sort of musical sculptor. My greatest influence form a teacher was Aida Stucki. My family and I had been looking for a pedagogue who would go on schooling me in the tradition of Carl Flesch, because that was the way I started my musical life and it seemed to work well for my personality. I auditioned for her but she refused to become my teacher because she said she couldn't take the responsibility of taking me through the important teenage years and the transition between being a very well-trained young musician to beeing a fully equipped, analytical young musician. DURING THE PERIOD OF STILL HOPING that Stucki would take me on, I went to get advice from Henryk Szeryng, who was a guiding light in terms of his technical precision and his classical approach to interpretation. I went to Geneva to audition for him. I remember the morning I went: we had an appointment at ten or eleven but he wasn't there, so I waited a few hours. I'd prepared some music with the piano, but nobody had thought of the possibility that there might not be a piano in his hotel room. He asked me, "How about some solo Bach?" At the age of ten I was already aware that he was the god of Bach's solo sonatas, but what could I do? I did my best to resurrect what I knew and remembered the Bach E major Partita, and he was perfectly nice after that. He said he would always be there in case I needed some musical advice, but he would advise me to return to Stucki - they studied in the same class under Flesch. We went back and Stucki agreed that we would try to collaborate. We started in January and with summer around the corner I was one of the few students in the world who didn't look forward to the summer break. This was not only because she was an inspiration but also because we had such a grand time, so not seeing her for eight or ten weeks seemed to be horrible, and I really looked forward to the autumn. Stucki has a razor-sharp analytical brain with which she can tell immediately where the strong aspects of someone's artistic capacity are. Therefore over the decades that she was a teacher she taught generations of wonderful violinists who ended up as concertmasters, soloists or chamber musicians. She was able to give us the gift of curiositiy and self-analysis. When I was 16 or 17, I started to give concerts much more and finished my studies so I didn't go to regular sessions with her, but we stayed in regular concat and do even now. The transition between being a pupil and admirer of her art to also being a friend was a very natural one, which speaks for her character. She also has the ability to let her pupils live their own lives. They sometimes played with a different viewpiont from the one she had, but she would be able to appreciate it, even though she would have played it differently herself. That's something I learnt to take on as a teacher: you should never try to model a pupil after your own personality - it's deadly. INTERVIEW BY ARIANE TODES |
||||||||